Der Europäische Gerichtshof hat am 19.12.2013 ein Urteil verkündet, welches für eine Vielzahl von Lebensversicherungsverträgen aus den Jahren 1995 bis 2007 von erheblicher Bedeutung sein könnte.
Der EuGH hält eine deutsche Vorschrift im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) für unwirksam, wonach ein Vertrag auf jeden Fall gültig ist, wenn der Kunde binnen eines Jahres nach Zahlung der ersten Prämie nicht widersprochen hat.
Dies gelte auch dann, wenn der Kunde nicht über sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt worden ist.
Betroffen von dieser Auslegung des EuGH sind insbesondere die Versicherungsverträge, welche nach dem sogenannten Policen-Modell abgeschlossen wurden.
Dabei bekam der Kunde die Versicherungsbedingungen und alle weiteren Informationen erst mit der Police zugeschickt, also zu einem Zeitpunkt als er den Vertrag längst unterschrieben hatte.
Wenn er zurücktreten wollte, musste er innerhalb von 2 Wochen – später einem Monat – zurücktreten.
Spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie war ein Rücktritt jedoch nicht mehr möglich, wobei dies selbst in den Fällen gelten sollte, in denen der Kunde über sein Widerrufsrecht überhaupt nicht ordnungsgemäß belehrt wurde.
Nachdem der EuGH also diese Regelung als unwirksam erachtet, ist davon auszugehen, dass der national mit der Sache befasste Bundesgerichtshof in gleicher Weise entscheidet.
Das Urteil des EuGH entfaltet insoweit allerdings noch keine unmittelbare Wirkung, der Rechtsstreit wurde lediglich an den BGH zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen, der allerdings an die Feststellungen des EuGH gebunden sein dürfte.
Schließt sich der BGH der Ansicht des EuGH an, stellt sich dann die Frage, wie Kunden mit ihren Lebensversicherungsverträgen verfahren sollen, wenn sie sich mit dem Gedanken tragen, den Vertrag zu lösen.
Jedenfalls ist davon abzuraten, den Lebensversicherungsvertrag nunmehr zu kündigen. Wenn sich der Kunde von der Versicherung trennen möchte, sollte dieser stattdessen ausdrücklich widerrufen werden.
Dann wird die Police nämlich von Anfang an rückabgewickelt, so dass der Versicherer nicht nur den geringeren Rückkaufwert ersetzen muss.
Bei der Ermittlung des Rückkaufwertes darf das Versicherungsunternehmen nämlich insbesondere die Abschluss- und Verwaltungskosten abziehen.
Da also erhebliche rechtliche und finanzielle Unterschiede zwischen Kündigung und Widerruf bestehen und auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs noch nicht vorliegt, möchten wir den Kunden der Versicherungsunternehmen dazu raten, sich umfassend beraten zu lassen, sofern eine Beendigung des Vertragsverhältnisses beabsichtig ist.
Rechtsanwalt Harald Winter